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Green Deal

In der Sozialwirtschaft zum Nulltarif?

Dr. Tobias Gaydoul und seine Mit-Autoren tragen in großen Unternehmen der Sozialwirtschaft Führungsverantwortung. Für den Brüsseler Kreis, einen Zusammenschluss deutscher und europäischer Sozialunternehmen, haben sie die Folgen ambitionierter Vorgaben im Rahmen des Green Deal der Europäischen Union analysiert, Wirkungszusammenhänge offengelegt und Handlungsempfehlungen abgeleitet.

Im Dezember 2019 rief die Europäische Union den Green Deal aus. Damit soll ein klimaneutrales Europa geschaffen und der Schutz unseres natürlichen Lebensraums erreicht werden. Der Green Deal wird von verschiedenen Akteuren unterstützt, darunter auch den deutschen Wohlfahrtsverbänden Caritas und Diakonie. Diese Verbände haben sich zum Ziel gesetzt, bis spätestens 2030 bzw. 2035 klimaneutral zu werden. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass sich mehr und mehr Bedenken breitmachen. Insbesondere hinsichtlich der finanziellen Herausforderungen, die mit der Umsetzung dieser Ziele verbunden sind, verbreitet sich Katerstimmung.

Ein Schlüssel zur Klimaneutralität liegt im Gebäudebestand

Ein entscheidender Bereich auf dem Weg zur Klimaneutralität liegt im Immobilienbestand der Träger der Sozialwirtschaft. Dieser Bestand wird oft zu Recht als veraltet charakterisiert. Schätzungen zufolge beläuft sich der Investitionsbedarf zur Erreichung der Klimaneutralität im Bereich der Sozialimmobilien bundesweit auf rund 136 Mrd. Euro. Derartige Summen sind jedoch bei der aktuellen Finanzierung der Sozialwirtschaft schwer zu realisieren. Daher sind besondere Bedingungen erforderlich, um den Immobilienbestand zu revitalisieren und auf das 1,5-Grad-Ziel auszurichten.

Der Green Deal der EU setzt die Rahmenbedingungen und die Banken sollen den Wandel zur Klimaneutralität koordinieren und überwachen. Die EU fordert konkret, dass Banken Kapitalflüsse in Richtung nachhaltiger Wirtschaft umlenken und Nachhaltigkeit in ihr Risikomanagement einbetten. Der EU Sustainable Finance Action Plan umfasst dabei die EU-Taxonomie, den EU Green Bond Standard, Benchmarking und Reporting. Eine Umfrage der Europäischen Zentralbank (EZB) aus dem Jahr 2023 zeigt bereits, dass Banken Kreditrichtlinien im Immobiliensektor verschärfen.

Die Instrumente des EU Sustainable Finance Action Plan treffen auf die Refinanzierungssystematik in der Sozialwirtschaft. Sozialunternehmen sind aufgrund der in den Sozialgesetzbüchern verankerten Refinanzierungssystematik nur schwer in der Lage, die von Banken geforderten üblichen Klauseln oder Nebenabreden etwa im Rahmen von Anleihegeschäften zu erfüllen. Insofern existiert eine klassische Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt faktisch nicht.

Die 7. Novelle der Mindestanforderungen an das Risikomanagement der Banken (MaRisk) integriert Leitlinien der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) für die Kreditvergabe und -überwachung sowie die Aufnahme von Nachhaltigkeitseinflussfaktoren (ESG-Faktoren) in das Risikomanagement von Banken. Banken sind somit verpflichtet, ESG-Faktoren (Environment, Social, Governance) in ihre Kreditrisikostrategie einzubeziehen. Die verschärften Kreditrichtlinien der Banken, basierend auf ESG Risiko-Scores, stellen eine neue Herausforderung für Sozialunternehmen dar.

Banken sind entscheidend bei der Umsetzung des Green Deal

Für Banken ändert sich infolgedessen die Berechnungslogik des Beleihungswerts signifikant, da ESG-Scores berücksichtigt werden müssen. Dies betrifft sowohl Sicherungsobjekte aus bestehenden Immobilienfinanzierungen als auch die Ermittlung künftiger Finanzierungsstrukturen von neuen Bauobjekten. Die Berücksichtigung des ESG-Scoring bei der Ermittlung der Betriebskosten führt zu Veränderungen bei der Ertragswertermittlung und beeinflusst damit auch den Beleihungswert und die Beleihungsgrenze.

Dies zwingt Banken dazu, entweder ihr Eigenkapital zu erhöhen oder zusätzliche Sicherheiten für die finanzierten Objekte zu fordern. Für viele kleine und mittlere Sozialunternehmen ist es jedoch schwierig, diese Anforderungen zu erfüllen, was zu einer potenziellen Insolvenz führen kann. Auch im Bereich der Neubauten sind die Auswirkungen spürbar. Die energetischen Anforderungen an Gebäude steigen und damit die Investitionskosten der Träger. Doch im Rahmen der gesetzlichen Refinanzierung sind diese Kostensteigerungen oftmals nicht in den Budgets der Kostenträger eingepreist und werden folglich nicht erstattet. Wählen Träger eine weniger energieeffiziente und kostengünstigere Bauweise für ihre Gebäude, sinken die zu refinanzierenden Investitionskosten für den Kostenträger. Die Banken ihrerseits strafen den Träger mit höheren Finanzierungszinsen ab. Die Folge: Kleine und zunehmend mittlere und große Träger können nicht mehr in ihre Substanz investieren.

Insolvenzen drohen

Eine fatale Situation für Träger der Sozialwirtschaft, deren Bemühungen zur Realisierung dringend benötigter Veränderungen, um den sozialen und ökologischen Herausforderungen gerecht zu werden, ausgebremst werden. Sollen Sozialunternehmen in Deutschland bei der grünen Transformation nicht abgehängt werden, müssen die Kosten der Nachhaltigkeit in die Refinanzierungssystematiken der Sozialwirtschaft Einzug halten. Werden unter den geltenden Refinanzierungssystemen sozialer Unternehmen derzeit beispielsweise energetische Sanierungen aus eigenen Mitteln umgesetzt, führen diese Investitionen zu geringeren Verbräuchen. Die damit verbundenen Einsparungen reduzieren die Anspruchsgrundlage für die Verhandlungen erstattungsfähiger Kostensätze. Ein klassischer Zielkonflikt, der die Investitionsbereitschaft in Nachhaltigkeit ausbremst.

Daher müssen beispielsweise die Kosten der Nachhaltigkeit bei der Refinanzierung von Investitionskosten grundsätzlich additiv berücksichtigt werden. Dies gilt auch bei einem ESG-Kreditzins-Gap, welcher bei der Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit von Sozialunternehmen durch Bankinstitute im Rahmen des ESG-Risiko-Scorings entstehen kann. Zusätzlich zu den bereits heute anzusetzenden Herstellungskosten, wie beispielsweise Inventarkosten, Fremdkapitalkosten oder Abschreibungen, sind also auch Kosten nachhaltiger Maßnahmen zu berücksichtigen. Genauso müssen Investitionen in die Energieeffizienz bei Neubauten und bei Bestandsgebäuden innerhalb des Abschreibungszeitraums als Investitionskosten von allen Kostenträgern anerkannt werden. Und ebenso müssen die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, sogenannte Betriebskosten, die Energieeffizienz verbessernde Aufwendungen als betriebsnotwendige Kosten beinhalten.

Insgesamt steht die Sozialwirtschaft vor einer komplexen Herausforderung, die sowohl soziale als auch ökologische Aspekte betrifft. Eine dringende Neuausrichtung der Finanzierungssysteme ist erforderlich, um positive Veränderungen zu ermöglichen und eine Balance zwischen gesellschaftlichem Engagement, ökologischer Verantwortung und finanzieller Realität zu finden. Nur durch gemeinsame Anstrengungen von Sozialunternehmen, politischen Entscheidungsträgern und der Finanzwirtschaft kann diesem Ziel nähergekommen werden, ohne dass Insolvenzen von Sozialunternehmen zunehmen.

FAZIT

Der Green Deal wird zur Kostenfalle für die Sozialwirtschaft, da weder die Politik noch die Kostenträger derzeit die Wirkungszusammenhänge einzelner Gesetzgebungsverfahren im Blick haben. Die Bereitschaft der Träger in der Sozialwirtschaft zu einem nachhaltigen Wandel ist da. Doch die bestehenden Finanzierungsstrukturen setzen uns Trägern enge Grenzen, wenn es darum geht, umweltfreundliche Maßnahmen umzusetzen. Der politische Wille zur Nachhaltigkeit kollidiert hier mit den finanziellen Realitäten.

 

Dr. Tobias Gaydoul

Rummelsberger Diakonie e. V., Vorstand Finanzen

Der promovierte Ökonom war bis zu seiner Beschäftigung bei der Rummelsberger Diakonie für die KMPG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft tätig. Dort leitete er schwerpunktmäßig Projekte in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Dr. Gaydoul ist unter anderem Mitglied in der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaftslehre sowie im Sprecherausschuss des Brüsseler Kreises. Darüber hinaus wirkt er in Aufsichtsräten und Beiräten von Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft, Banken und Versicherungen mit.

Dieser Artikel stammt aus unserem Mandantenmagazin Curacontact, das 4 x im Jahr aktuelle Themen für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft, für Öffentlichen Sektor und Kirche aufbereitet. Interesse? Jetzt kostenlos abonnieren!

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